MILA in Nöhagen, auf Recherche-Fahrt im Waldviertel. Auch die Genossenschaft Milchkandl hat sich zu einem guten Teil mit Direktkrediten finanziert.

Von MILA-Mitglied Karin Kuna im Oktober 2023.

Es ist ein strahlender Vormittag, als wir die sonnentrunkene Wachau über steile Serpentinen hinter uns lassen und alsbald durch sanft hügelige Landschaft in Nöhagen einrollen. Vorbei am renommierten Gasthaus Schwarz (hervorragende Küche, exzellente Weine! Anm.d.Red.) biegen wir links in die schmale Dorfstraße und halten vor der Einfahrt, auf deren Torpfeiler eine große Milchkanne den Weg weist. Knirschender Kies unter unseren Füßen ersetzt eine Klingel, Hausherr Andreas Egger grüßt schon von Weitem und lädt uns zum Kaffee im Pavillon ein. Dazu gleich ein Milchkandl-typisches Detail: Dieser und alle anderen Zubauten, wie Produktionsbereich und Dorfladen, sind aus Holz-Fertigteilen errichtet, das verwendete Material dafür stammt aus dem nahen Wald. Der Altbestand des ehemaligen Bauernhofs wird aktuell behutsam renoviert und instandgesetzt (Büro, Arbeiter:innen-Zimmer etc.). Beim folgenden Gespräch und Rundgang wird sehr rasch offensichtlich, dass hier Menschen am Tun sind, die zukunftsorientiertes Denken im ökosozialen Wirtschaften realisieren.

Im Gespräch.

„Natürlich kann ich über notwendiges Umdenken diskutieren und jedes Jahr in Lech oder bei der GlobArt herumsitzen… oder aber ich heb’ meinen Arsch und tue es einfach!“ erklärt Milchkandl-Initiator Andreas Egger seine Begeisterung für Gemeinwohl-Philosophie mit einem verschmitzten Lächeln. Am Anfang seiner Nöhagener Zeit verbrachte er hier die Wochenenden, beruflich blieb er als erfolgreicher Unternehmer (u.a. Großkonzerte-Veranstalter, öTicket-Gründer) in Wien verwurzelt, bis der auslösende Impuls im nachbarschaftlichen Plausch mit Nebenerwerbsbauer Sepp erfolgte. Dieser erzählte, dass er und seine Frau nur etwa 12.000.- Euro jährlich mit dem Verkauf der Bio-Milch der fünfzehn Kühe verdienen, weil sie als Produzent:innen lediglich die handelsüblichen rund vierzig Cent pro Liter bekommen! Ergo können sie von ihrer 365-Tage-Arbeit (5-21h) am Bauernhof nicht überleben.

„Da hab ich mich natürlich schon gefragt, wie es sein kann, dass ich mit keineswegs dringend gebrauchter Dienstleistung im ‘Luxus-Segment’ gut leben kann – und jemand, der derart Essentielles wie hochwertige Lebensmittel produziert, kommt mit dem Einkommen davon nicht einmal über die Runden?“ empört sich Andreas Egger über dieses vollkommen aus dem Ruder laufende System, das in unserer Gesellschaft immer noch als „normal“ toleriert wird – nämlich das Wirtschaften auf Kosten der Kleinen (Produzent:innen, Konsument:innen) zugunsten der Großen (Handelsriesen, Agrar-Vermarktungsplattformen). 

Kurzerhand war das Ziel einer gemeinsamen Direktvermarktung im regionalen Umfeld beschlossene Sache. Parallel zu Gesprächen und Commons-Berechnungen ging dank spezifischem KnowHow von Andreas Egger (Verbandsmitglied bei Rückenwind) die Genossenschaftsgründung von „Milchkandl – Unsere Gute Milch“ mit ihm und den beteiligten Bauernfamilien Trinkl, Starkl und Stöger verhältnismäßig rasch über die Bühne.

„Das erforderliche Startkapital von 450.000.- Euro konnten wir zu einem Drittel durch Förderungen und weiters durch Beteiligungen von Genossenschafter:innen aufbringen. Gestartet haben wir mit rund fünfzig Mitgliedern, heute sind 110 Menschen mit an Bord,“ gibt Egger bereitwillig Auskunft. Mit berechtigtem Stolz verweist er darauf, dass die Summe von 160.000 Euro innerhalb von nur drei Wochen in Form von sogenannten Nachrang-Darlehen (vgl. dazu „MILA-Direktkredite“) lukriert wurde. Ich frage ihn, wie es gelungen war, dermaßen rasch Vertrauensvorschuss in Geschäftsidee und genossenschaftlich organisierte Firmenkonstruktion nicht nur zu kommunizieren, sondern auch in Direktbeteiligungen umzuwandeln. 

„Milchkandl ist für mich heute das, wo ich meine Energie reinstecke. Ich habe einfach ehemalige Weggefährten und Mitarbeiter:innen gefragt, wir alle haben im Bekanntenkreis und in der Region für Commons, also für genossenschaftliche Zusammenarbeit Werbung und Öffentlichkeitsarbeit gemacht, Facebook-Kontakte genutzt,“ räumt der Milchkandl-Mitbegründer ein. Immer wieder postuliert er vehement das gewaltige Zukunftspotenzial im gemeinschaftlichen, im „enkeltauglichen Wirtschaften“ wie er es nennt. „Kleinräumige Strukturen sind ökonomisch nachhaltig, wie wir beweisen können! Nicht zu vergessen: Mehrwert für alle Stakeholder muss langfristig garantiert sein, was eine hohe Herausforderung ist, denn unsere 1a-Qualitätprodukte müssten eigentlich mehr kosten dürfen. Wir bemühen aber bei der Preisgestaltung für unseren Markt quasi die Quadratur des Kreises zuliebe unserer Konsument:innen – deren großartiges Feedback ist auch lohnenswert!“ lächelt Egger mit Blick auf die halbleeren Regale im Dorfladen.

Der Rundgang.

Der genossenschaftliche Dorfladen funktioniert nach Vertrauensprinzip in Selbstbedienung und Bezahlung (bar, Bankomat) ohne Verkaufspersonal. Die Regale sind mit sämtlichen Milchkandl-Produkten bestückt, darüber hinaus werden weitere Spezialitäten anderer Genossenschafter:innen aus der Umgebung verkauft: Ziegenkäse (mit Chili!), Dinkel-Nudeln, Honig, Aronia-Säfte, handverlesenes Saatgut (alte Gemüse-Sorten)… 

Bei Milchkandl vor Ort arbeiten acht Mitarbeiter:innen für hundert Stunden pro Woche in flexiblen Beschäftigungsverhältnissen in der Produktion und Lieferung. Ich darf ausnahmsweise im wenig kleidsamen Hygiene-Outfit den Mitarbeiterinnen über die Schultern schauen, die duftenden Obstbrei mit frischem Joghurt verrühren, hurtig Gläser befüllen und von Hand den neu gestempelten Deckel samt Inhaltsangabe draufschrauben. Etiketten gibt’s keine, das Produkt wird „schlank gehalten“ aus Kostengründen; außerdem ist ein ziemliches Griss um die Milchkandl-Sachen, die auch nicht-aufgmascherlt meist ausverkauft sind. Apropos Verkauf: „Vom Nöhagener Kirchturm aus in etwa 30 Kilometer im Umkreis“ (Distanz-Angabe im O-ton) werden die Produkte ausgeliefert; und nicht weiter. MILA ist also die große Ausnahme in der strikten Regional-Verteil-Order, weil wir ebenfalls als Genossenschaft organisiert sind (und weil wir dank Milchkandl-Unfried-Kooperation, einem Kremser Obsthändler mit Wien-Connection, mitbeliefert werden können)! 

Wir werfen einen kurzen Blick in den zukünftigen Naschgarten (hauptsächlich für Kinder gedacht), einen langen in den „Energie-Raum“, wo Wärme-Rückgewinnung, Photovoltaik-Anlage, Speicher etc. gesteuert werden. Nebenan steht ein „sicher-ist-sicher“-Generator für alle Eventualitäten bereit, immerhin muss Milch ja frisch verarbeitet werden. Passend dazu sind wir in wenigen Schritten am Nachbarzaun und nahe „an der Quelle“. Auf der weitläufigen Hintaus-Weide mümmeln genossenschaftliche Kühe ziemlich relaxed unter Obstbäumen. Genossenschafter und Nachbar Sepp grüßt freundlich und öffnet das Gatter, um sein Lieblingstier die „Schmusi“ zu präsentieren, die, kaum benannt auch schon herantrottet und ihren breiten Kopf auf seine Schulter legt. Quasi ein intimer Film-Moment ohne Werbe-Absicht einer Inszenierung von Bauernalltag, der sich einfach nur richtig anfühlt. „Die haben ja alle noch ihre Hörner!“ stelle ich fest, die Stadtmenschen schauen mich verwundert an, der Landwirt nickt und meint lächelnd zur ehemaligen Bäuerin: „Jo freilich – ned modern, oba do normal.“  Milchkandl-Nachtrag: Spätestens im Frühjahr wird es eine Exkursion nach Nöhagen geben – wir informieren rechtzeitig.

https://www.milchkandl.at/Ueber-Uns/

Karin Kuna, Oktober 2023

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